Sophia Geller bei der Verleihung der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2004.

In der Hospizarbeit daheim - Ein Blick auf das Leben von Sophia Geller

Angela Hörschelmann vom Deutschen Hospiz- und PalliativVerband e.V. war mit Frau Geller im Gespräch.

Sophia Geller, Gründungsmitglied und langjährige ehrenamtliche Mitarbeiterin des St. Jakobus Hospizes und dessen Fördervereins in Saarbrücken, ist im Jahr 2002 mit dem Ehrenpreis der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz (heute Deutscher Hospiz- und PalliativVerband) ausgezeichnet worden. Damals war sie 82 Jahre alt und fuhr noch selbst mit dem Auto aus dem Saarland nach Berlin, um den Preis entgegenzunehmen. Bis zu ihrem Tod am 7. Januar 2021 wohnte die mittlerweile Hundertjährige in einem Seniorenheim in Berlin Spandau. Erinnerung an ein Gespräch.

Darf man eine Hundertjährige warten lassen? Die Antwort kann nur „Nein“ lauten. Es ist eine Frage des Respekts und der Hochachtung vor dem Alter an sich und vor einer Frau, die sich als über 70-Jährige voller Enthusiasmus in die ehrenamtliche Hospizarbeit gestürzt hat. Als ich – der Bus fiel aus – knapp zur verabredeten Zeit an der kleinen Seniorenwohnung klopfe, die Sophia Geller im dritten Stock des Evangelischen Johannesstifts bewohnt, schaut sie erstaunt hoch und fragt: „Ach, ist es schon 14 Uhr?“ Nach kurzer Begrüßung dirigiert sie mich vom Bett aus, in dem sie mit Grandezza residiert, zum Kühlschrank. Wir suchen gemeinsam eine kleine Flasche Prosecco aus, die ich uns in zwei Gläser aufteile.

Wir kennen uns nicht. Unser Gespräch kommt auf Anregung von Paul Herrlein, Geschäftsführer des St. Jakobus Hospizes, zustande. Zusammen mit einer Handvoll anderer Hospizbewegter haben er und Sophia Geller ab Mitte der 1990er Jahre die ambulante Hospizarbeit in Saarbrücken aufgebaut. Die 1920 geborene Münsteranerin hatte es nach dem zweiten Weltkrieg zunächst nach Bernkastel-Kues an die Mosel und dann nach Saarbrücken verschlagen. Wie kam sie zur Hospizarbeit?

„Oh, es gab einige Berührungspunkte. Ich hatte als junge Frau begonnen, Medizin zu studieren. Mein Mann war Mediziner, ich habe lange Jahre mit ihm in der Praxis gearbeitet. Trotzdem war das hospizliche Ehrenamt reiner Zufall. Ich habe sieben Kinder großgezogen und hatte ein sehr bewegtes Leben. Trotzdem hatte ich dann im Alter noch mal Lust auf etwas Neues. Und in dieser Zeit wurde ein Kurs angeboten in Saarbrücken, der Titel war „Wie stehen Sie zum Sterben?“ ´Den habe ich belegt und dann kam die Anfrage, ob ich ehrenamtlich mitarbeiten wolle.“

Das war Anfang 1995. Sophia Geller war zu diesem Zeitpunkt 75 Jahre alt, die  St. Jakobus Hospiz gGmbH  war einige Monate  zuvor gegründet worden. Jetzt folgte der Aufbau des ambulanten Hospizdienstes. Sophia Geller arbeitete von Anfang an in der Begleitung, stand Betroffenen und Angehörigen aber auch für telefonische Anfragen zur Verfügung. „Da kamen die unterschiedlichsten Fragen, aber es ging immer um Begleitung für das Leben bis zuletzt.“ Als der Dienst größer wurde, übernimmt sie – weiterhin ehrenamtlich – Koordinationssaufgaben.

„Ich war plötzlich in der Hospizarbeit daheim. Ich konnte mich ausleben, es war, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Mir kam zugute, dass ich ein neugieriger Mensch bin. Und ein Schnellmerker, so nannte man das bei uns zu Hause. Ich habe Erstbesuche gemacht, um zu sehen was gebraucht wird und welche unserer Ehrenamtlichen passen könnte.“

1997 wird der Förderverein St. Jakobus Hospiz e.V. gegründet, Sophia Geller wird zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt und wirft sich auch hier voller Begeisterung und Elan in die neuen Aufgaben. 2002 erhält sie für dieses Engagement den Ehrenpreis der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz, heute DHPV. Sie setzt sich, mittlerweile fast 82 Jahre alt, in das Auto des ambulanten Hospizdienstes und macht sich auf den Weg nach Berlin zur Hospizgala. Und auch auf der Autobahn wirbt sie für die Hospizidee:

„Ich hielt an einem Autohof in der Nähe von Kassel. Ich wollte tanken und eine Tasse Kaffee trinken. Und es hat geregnet und Lastwagenfahrer waren an der Tankstelle. Ich habe mein Auto unters Dach gestellt und bin reingegangen, habe mich an die Theke gesetzt, auf so einen hohen Hocker. Da kommt einer von den LKW-Fahrern und sagt: Draußen steht ein Auto, St. Jakobus Hospiz Saarbrücken, wer ist das denn? Und ich antworte: Ja, das bin ich. Und dann habe ich den Kapitänen der Landstraße voller Begeisterung erzählt, was wir machen. Und da berlinert der eine: Und det allet umsonst? Ich hatte mich in Fahrt geredet. Ja, habe ich gesagt, wir arbeiten um Gottes Lohn, er bezahlt gut, aber er bezahlt nicht die Miete und das Telefon und das Benzin, das müssen wir selbst bezahlen. Als ich meinen Kaffee zu Ende getrunken hatte und bezahlen will, sagt der Mann hinter dem Tresen: Lassen Sie mal, mein Kollege hat Ihnen schon vollgetankt und die Rechnung schicken wir an den da oben. Und dann wurde ich verabschiedet, alles Gute, Schwester!“

In Berlin nimmt Sophia Geller den Ehrenpreis in der Kategorie Ehrenamt entgegen. Der Tagesspiegel berichtet damals: „Der bewegendste Augenblick war wohl der, als die 82- jährige Sophia Geller am Gehstock gestützt zur Bühne schreitet, um den Ehrenpreis der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz von der Frau des Bundespräsidenten, Christina Rau, entgegenzunehmen.“ Den Preis empfindet Sophia Geller nicht so sehr als persönliche Ehrung, sondern als Auszeichnung für die mittlerweile fast vierzig Ehrenamtlichen, die für das St. Jakobus Hospiz und den ambulanten Hospizdienst tätig sind.

Einige Zeit später zieht sie zu einer ihrer Töchter nach Berlin, in eben jenes Zimmer, in dem nun unser Gespräch stattfindet. „Es war natürlich für alle Beteiligten traurig, aber der Hospizdienst lief ja auch ohne mich. Mittlerweile gab es einen hauptamtlichen Koordinator. Und ich war 83 Jahre alt. Ich dachte, so vier, fünf Jahre wird es noch gehen. Dass ich da noch so lange  Jahre leben und 100 Jahre alt werden würde, ja wenn ich das gewusst hätte.“

Die ersten Jahre musiziert Sophia Geller noch viel, bis zum Ende liest sie, bekommt viel Besuch. Und sie ordnet ihre Angelegenheiten, überlegt sich, wie ihre Trauerfeier aussehen soll, wo und wie sie beigesetzt werden möchte. Als sie am 7. Januar 2021 friedlich einschläft, hat sie auch den Text für ihre Traueranzeige formuliert. Dort ist von ihrer Dankbarkeit für ein langes und erfülltes Leben die Rede. Er schließt mit den Worten: „Ich bin aus Eurer Zeit gegangen!“